28.06.2021
Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
Die Themen dieser Woche:
  • Changing Landscape of Online Education (CHLOE) Report
  • Werden die Pell Grants erhöht?
  • Sicherheitsinteressen vs. Internationalisierung
  • Kurznachrichten
Liebe Leserinnen und Leser,
 
wir befassen uns in dieser Ausgabe mit den Zukunftsaussichten von Online Education und mit Plänen für eine Erhöhung der Fördersätze im Pell Grant-Programm. Wir werfen zudem einen Blick auf einen in den USA virulent gewordenen Zielkonflikt von Internationalisierung auf der einen Seite und nationalen Sicherheitsinteressen auf der anderen und wie immer auf verschiedene Kurznachrichten.
 
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Gesundheit, Geduld und Zuversicht.
 
Stefan Altevogt
Changing Landscape of Online Education (CHLOE) Report
Inside Higher Education fasst in einem Beitrag die elf wichtigsten Einsichten der Anfang Juni erschienenen sechsten Ausgabe des Changing Landscape of Online Education (CHLOE) Report zusammen und schreibt: „COVID-19 was a horrible pandemic, but it was also a time machine. In more than a few aspects of higher ed, COVID-19 has opened up a temporal rift that landed many of us (if only briefly) in 2030.”
Auf Grund der Covid-Pandemie sei virtueller Unterricht im vergangenen Frühjahr fast über Nacht zum Normalfall geworden und die wohl wichtigste Einsicht sei, wie vergleichsweise reibungslos dies gelungen sei. Es heißt: „Higher ed’s response to COVID has forever destroyed the popular idea that colleges and universities are incapable of agility and speed.”
Die zweite (allerdings nur wenig überraschende) Einsicht sei, dass Covid-19 das Wachstum des Sektors „virtuelles Lernen“ beschleunigt habe und die dritte (nun doch überraschende), dass auch virtuelle Lehrangebote sehr gerne an lokalen bzw. regionalen Hochschulen wahrgenommen würden.
Der vierten Einsicht vorangestellt ist die Unterscheidung zwischen virtuellen Unterrichtsformaten als Notfallreaktion auf Covid-19 und längerfristig geplanten und entwickelten Fernstudienformaten. Letztere hätten durch die Erfolge der Reaktionen auf Covid-19 allerdings einen deutlichen Schub bekommen. Community Colleges, so die fünfte Einsicht, seien diesbezüglich in einer Vorreiterposition und, so die sechste Einsicht, vierjährige Collgeges und Universitäten hätten nun eine „once-in-a-generation opportunity“, in diesem Bereich aufzuholen.
Selbst wenn sich die Lage an den Hochschulen im Herbst und Winter wieder normalisieren sollte, so die siebte Einsicht, würden Unterrichtsveranstaltungen künftig verstärkt auch als Live-Übertragungen auf dem Internet zu verfolgen sein. Diese Entwicklung beschreibt der Beitrag mit den Worten: „Synchronous online instruction has gone from a high-intensity/high-cost online education marker to something that is more normative across all institutions.” Dies scheine auch der Investitionslogik der Hochschulen zu folgen, von denen (Einsicht acht) zwei Drittel im vergangenen Jahr zum Teil erhebliche Mittel ausgegeben hätten, um online unterrichten zu können. Was seinerzeit angeschafft worden sei (Einsicht neun), seien angesichts bekannter Learning Management Systems (LMS) eigentlich keine neuen Technologien gewesen. Neu gewesen sei, dass durch die rasche Umsetzung von synchronen elektronischen Unterrichtsplattformen der Kontakt zwischen Studierenden und Lehrenden habe aufrechterhalten werden können.
Eine Folge der elektronischen Unterrichtsformate, so Einsicht zehn, seien auch deutlich gestiegene Investitionen in Open Education Resources (OER), zu denen es heißt: „COVID-19 brought a new awareness of the inherent inequities created by high-priced publisher course materials and textbooks and has seemingly accelerated a more institutional focus on OER.“
Die elfte Einsicht schließlich sei die durch Covid-19 noch einmal deutlich in das Bewusstsein gerückte Kluft zwischen den privilegierten Teilen der Hochschullandschaft und den weniger privilegierten. Hierzu heißt es: „The CHLOE 6 report details the numerous ways schools attempted to bridge the digital divide by focusing on directing services and resources to disadvantaged learners.”
 
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Beim Chronicle of Higher Education ist Goldie Blumenstyk für virtuelle Unterrichtsformate zuständig und sie betreibt mit „The Edge“ auch einen thematischen Newsletter. In der Ausgabe vom 16. Juni befasste sie sich mit der Frage „What’s Next for Online Ed?“ und schrieb zu CHLOE 6: „Colleges appear to be investing in their digital future (...) with spending on technology hardware and software licenses most common.” Auf die Preisgestaltung der Hochschulen würden die virtuellen Formate allerdings keinen großen Einfluss haben. Sie schreibt: „Previously, most (64 percent) charged the same for online and in-person courses, while about 14 percent charged more for online, and another 14 percent charged less (the rest didn’t answer conclusively). Covid-19 didn’t change those percentages by very much.“
 
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Werden die Pell Grants erhöht?
Das vom Bund gegenwärtig mit knapp $30 Mrd. pro Jahr finanzierte Pell Grant-Programm soll eigentlich auch Kindern aus einkommensschwächeren Familien ein grundständiges und qualitativ hochwertiges Studium ermöglichen, doch mit einer Förderobergrenze von derzeit $6.495 pro Jahr hinken die Fördersätze des Programms seit Jahren schon den deutlich teureren Studienkosten an den besseren Hochschulen des Landes hinterher.
Ein Beitrag auf Inside Higher Education befasste sich in der vergangenen Woche mit der überparteilichen Einigkeit, dass die Fördersätze des Programms dringend angepasst, wenn möglich gar verdoppelt werden müssten. Man bemerkt aber auch, dass der Weg zu einem entsprechenden Gesetz sehr steinig sein würde. Der Beitrag verweist darauf, dass Pell Grants in der Vergangenheit bis zu 80% der direkten Studienkosten hätten decken können, ein Anteil, der mittlerweile auf weniger als ein Drittel zurückgegangen sei. Hier wieder zu einem vernünftigen Verhältnis zu kommen, hätten die Demokraten nun den Pell Grant Preservation and Expansion Act of 2021 auf den Weg gebracht, der die Förderhöchstgrenze in den kommenden Jahren auf $13.000 anheben und dann an die allgemeine Preisentwicklung koppeln wolle.
Bislang habe die Gesetzesinitiative noch keine Unterstützung auf Seiten der Republikaner gefunden, wenngleich Bildungsinitiativen wie das Pell Grant-Programm in der Regel überparteiliche Unterstützung genießen würden. Auf der anderen Seite seien allerdings derzeit bestimmte Gesetzesvorhaben auch ohne jegliche überparteiliche Unterstützung möglich, selbst wenn sie – wie die jetzt eingebrachte Initiative – das Budget für die Pell Grants verdoppeln würden.
Ein wahrscheinlicheres Szenario sei die Einbettung einer Erhöhung der Pell Grants in den zweiten Teil des riesigen Investitionspakets der Biden-Regierung, in den American Families Plan, der neben einer Befreiung des Besuchs einen Community Colleges von Studiengebühren auch eine Anhebung der Fördersätze im Pell Grant-Programm anstrebe, allerdings nicht die im jetzt eingebrachten Gesetz angestrebte Verdoppelung der Höchstsätze. Es heißt: „Doubling the Pell Grant is not something that has to be done all at once – and it’s also not likely to be. For example, Biden’s budget proposal calls for a $400 increase to the maximum award, and his American Families Plan calls for a $1,400 increase, referred to as a ‘down payment’ on doubling the award.”
 
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Sicherheitsinteressen vs. Internationalisierung
Ein anderer Bereich überparteilicher Einigkeit in Washington, DC ist derzeit die Überzeugung, dass das Verhältnis der USA zu China von zunehmender Konkurrenz geprägt sei, der Wettkampf von Seiten Chinas nicht durchgängig mit fairen Mitteln geführt werde und die chinesische Regierung mit Programmen wie dem Thousand Talent Program (TTP) in den USA erzeugtes geistiges Eigentum für eigene Entwicklungszwecke entwende. Wenngleich der Regierungswechsel etwas von der rhetorischen Schärfe abgemildert hat, so bleibt doch Konsens, dass sich die Internationalisierung US-amerikanischer Forschung und Lehre vor allem im Hinblick auf China an US-amerikanischen Sicherheitsinteressen zu orientieren habe.
Karin Fischer bemerkt in ihrem Newsletter latitude(s) in dieser Woche, dass eine Regierungsverordnung aus dem vergangenen Jahr jetzt die Rückkehr von internationalen Graduate Studierenden aus China in die USA verhindere. Die Verordnung habe chinesischen Graduate Studierende mit Kontakten zum chinesischen Militär bzw. vom Militär kontrollierten chinesischen Hochschulen betroffen und ihnen das Studierendenvisum für die USA verweigert. Sie schreibt: „Now, as travel becomes safer, thousands of students stranded in China, including many at American universities, are exempt from Covid-related restrictions but may find themselves thwarted by Proclamation 10034, as the measure is known. Some 3,000 to 5,000 students, largely graduate students in STEM programs, may be affected by the policy. (...) Students who receive funding from the China Scholarship Council also could be singled out.”
 
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In einem Beitrag für den Chronicle of Higher Education fragt Karin Fischer, ob US-amerikanische Hochschulen angesichts ihrer nicht immer ganz unkomplizierten Verhältnisse mit Herkunftsländern ihrer internationalen Studierenden nicht eine regelrechte universitäre Außenpolitik bräuchten. Sie schreibt: „Steering through the complex web of global ties can require the deftness of a diplomat. But for academe, it’s not entirely clear just what a foreign policy would look like – or whether to have one in the first place.”
Angesichts der zahlreichen Fallstricke und Konfliktpotenziale müssten US-amerikanische Hochschulen mit einem hohen Grad an Internationalisierung wenigstens ein Minimum an Kosten-Nutzen-Analyse ihrer internationalen Beziehungen betreiben, so wie es etwa die australische Monash University derzeit schon praktiziere. Zu einem Best Practice Beispiel in den USA schreibt sie: „Closer to home, MIT has an international advisory committee that reviews international projects for security risk, economic risk, and political and human-rights risk, Lester, the associate provost overseeing global activities, said. Collaborations with three countries, China, Russia, and Saudi Arabia, get extra vetting, and those that are particularly complicated get scrutiny by a small group, consisting of Lester, the vice president for research, and the general counsel, in consultation with the lead faculty member on the project.”
 
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Kurznachrichten
Die New York Times meldet einen überraschend großen Andrang auf Studienplätze an den Law Schools der USA, so groß, dass die Programme nicht alle geeigneten Studienbewerber zulassen könnten und entsprechend in einigen Fällen um Verschiebung des Studienbeginns bäten. Einer der Gründe der Entwicklung könne in einer Corona-bedingten Änderung des Zulassungstests LSAT liegen. Die Folge: „More students with strong scores, a record number of applications (out of 200 law schools surveyed by the Law School Admission Council, 190 had an increase).”
 
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Der Chronicle of Higher Education meldet die einstimmige Entscheidung des US Supreme Court, wonach die bislang durch die National Collegiate Athletic Association (NCAA) durchgesetzte Praxis, Spielerinnen und Spieler in den Mannschaften US-amerikanischer Hochschulen von jeglichen direkten finanziellen Vergünstigungen fernzuhalten, den Kartellgesetzen des Landes widersprächen. Die Entscheidung werde aller Voraussicht nach auch Konsequenzen für die Finanzierungsmodelle einiger Hochschulen haben, deren Erfolge stark vom behaupteten Amateur-Status der Athletinnen und Athleten abhingen. Neil Gorsuch als vorsitzender Richter wird dazu mit den Worten aus der Urteilsbegründung zitiert: „[College Sports] relies on ‘amateur’ student-athletes who compete under horizontal restraints that restrict how the schools may compensate them for their play.”
 
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Aus Florida meldet der Chronicle of Higher Education die Entscheidung der dortigen Regierung unter dem Republikaner Ron DeSantis, die öffentlich finanzierten Hochschulen im Bundesstaat zu jeweiligen Selbsteinschätzungen hinsichtlich Meinungs- und Gedankenfreiheit und der Vielfalt der an den Hochschulen vertretenen Meinungen zu zwingen. Das am 1. Juli in Kraft tretende Gesetz gehe davon aus, dass an Hochschulen bestimmte Meinungen unterdrückt würden. Die Opposition der Demokraten und auch die vom Gesetz betroffenen Hochschulen seien überwiegend der Meinung, die Regelung sei eine Lösung auf der Suche nach einem Problem.
 
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University World News schaut auf die jüngste Ausgabe des QS World University Rankings und schreibt: „Ben Sowter, director of research at QS, said the US higher education has experienced a state of ‘prolonged decline’ over the past five years, reflected in falling reputational scores, for example, or reduction in relative research impact results, much of which is attributable to the intense competition it is facing from well-funded peers abroad.”
 
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