23.05.2022
Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
Die Themen dieser Woche:
  • Preisnachlässe an privaten Colleges auf Rekordniveau
  • Studienschulden und die Frage: „Why Does College Cost So Much?“
  • Studienfinanzierungsmodell der Purdue University in der Kritik
  • Kurznachrichten
Liebe Leserinnen und Leser,
 
wir befassen uns in dieser Ausgabe mit jüngsten Zahlen zu Preisnachlässen an privaten Colleges und noch einmal mit dem Thema Studienschulden, diesmal im Zusammenhang mit der Frage: „Why Does College Cost So Much?“ Wir werfen zudem einen Blick auf die Kritik gegenüber einem Studienfinanzierungsmodell der Purdue University und – wie immer – auf verschiedene Kurzmeldungen. 
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Gesundheit, Geduld und Zuversicht.
 
Stefan Altevogt
Preisnachlässe an privaten Colleges auf Rekordniveau
Die National Association of College and University Business Officers (NACUBO) gibt regelmäßig Zahlen zu den Preisnachlässen privater Colleges in den USA heraus, die sie von ihren jeweiligen „Sticker Prices“ gewähren, um ihre Klassenräume und damit ihre Budgets füllen zu können. Entsprechend werden die Zahlen in der Fachpresse stark beachtet. Sie gelten als ein Maßstab für die finanzielle Gesundheit der Einrichtungen, denn wer starke Rabatte gewähren muss, um Studierende anzulocken, hat entweder hohe Einnahmen aus Stiftungsvermögen bzw. Fundraising oder läuft Gefahr, dauerhaft unterhalb der Kostendeckungsgrenze zu arbeiten.
In die jüngste Ausgabe der NACUBO Tuition Discounting Study sind Angaben von 359 privaten Colleges und Universitäten eingeflossen, die folgendes Bild ergaben: Die Rabatte für Studienanfänger sind im Studienjahr 2020-21 auf 54,5% gestiegen, die für Undergraduates insgesamt auf 49%; beides Rekordwerte.
Preisnachlässe werden allerdings nicht als solche, sondern als „grant aid“ gewährt, womit dann auch die Anzahl derjenigen deutlich gestiegen ist, denen per Studienbeihilfen über den Schock des „Sticker Prices“ hinweggeholfen wurde. Dazu heißt es in der Presseerklärung: „82.5 percent of all undergraduates at institutions surveyed received aid, which covered an average of 60.7 percent of published tuition and fees.”
Preisnachlässe per „grant aid“ sind allerdings nicht nur auf die Hochschulen beschränkt, die ansonsten Probleme bekommen würden, ihre Klassenräume zu füllen, sie fallen an den selektiven Hochschulen lediglich geringer aus. Hierzu wird ein Mitarbeiter von NACUBO mit den Worten zitiert: „These results suggest that although the most selective colleges and universities still heavily discount tuition, these schools do not rely on tuition discounting as an enrollment strategy to the same extent as other institutions.”
 
Sie finden die Presseerklärung zu jüngsten NACUBO-Studie hier.
 
Ein Beitrag zu den NACUBO-Zahlen widmet sich im Chronicle of Higher Education der Entwicklung über die vergangenen Jahre und schreibt: „Tuition discounts, which have been on an upward trajectory for more than a decade, are a common strategy used by private colleges to persuade students to enroll. The colleges use institutional aid to substantially reduce what often looks like a daunting sticker price.”
Der Beitrag geht darüber hinaus auf eine für die Hochschulen wichtige Zahl ein, den „net tuition revenue“, das Produkt aus den nach Abzug aller Rabatte gezahlten Studiengebühren und den eingeschriebenen Studierenden. In der Überlagerung der Preisentwicklung mit der Entwicklung der Studierendenzahlen – bei Neueinschreibungen gab es ein Plus von 7,1% und über alle Jahrgänge betrachtet blieben die Studierendenzahlen annähernd konstant – habe sich das folgende Bild ergeben: „Adjusted for inflation, net tuition revenue from first-time undergraduates fell 3.2 percent in 2021-22, and rose slightly, by 0.6 percent, for all undergraduates, the study found.“
 
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Der entsprechende Beitrag auf Inside Higher Education zeichnet mit einem auf die „Discount Rate“ zugespitzten Blick ein für die Finanzen der Hochschulen leicht dramatisches Bild, wenn es heißt: „Simplified, that means colleges forego about $54.50 for every $100 charged for tuition.“ Häufig führe dieser verkürzte Blick zur Prognose, dass die finanziell schwächsten Hochschulen – zumeist auch diejenigen, die selektiv zu sein, sich am wenigsten leisten können – bei solchen Preisnachlässen nicht mehr wirtschaftlich arbeiten könnten und über Kurz oder Lang schließen müssten.
Die Wirklichkeit sei allerdings komplexer und statt auf die „Discount Rate“ zu schauen, solle man sich nach Ansicht von Experten besser eher um eine andere Zahl kümmern, nämlich den „net tuition revenue“.
 
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In einem Beitrag schlägt Gregory Matthews, Vizepräsident für Enrollment Management an der privaten Norwich University in Vermont, auf Inside Higher Education in dieselbe Kerbe und schreibt: „I can’t think of a metric that is more misunderstood and misused among college presidents, trustees, faculty and staff than the tuition discount rate. When a metric is commonly misunderstood in its purpose, it becomes almost useless.” Jedes Jahr würden die entsprechenden NACUBO-Zahlen für Aufregung sorgen. Sie brächten allerdings nichts anderes zum Ausdruck, als das Maß, in dem Familien von Studierenden willens und in der Lage seien, die auf den Preisschildern der Colleges aufgedruckten Summen zu bezahlen.
Für die Finanzen der Hochschulen sei der „net tuition revenue“ die weitaus wichtigere Maßzahl und hier gelte es, mit geeigneten Mitteln den idealen Punkt zu finden, an dem die eingeräumten Preisnachlässe gerade groß genug sind, die angestrebte Größe der Freshmen-Jahrgänge zu erreichen. Er schreibt: „For example, if you typically have 3,000 admitted students and you want to have 700 net deposits in a first-year class, the model will tell you how to optimize your awarding to do that. If you want 750 students, the model will have to change, and you will likely decrease your average net revenue per student to get that increased number. (…) If the econometric model gives you a net revenue per student of $28,000 per year to get 700 students, don’t expect to get 700 students for a $30,000 net revenue per student out of that same pool of 3,000 admitted students. It is often the case that having a slightly lower net revenue per student can bring in more total net revenue, and the econometric model can tell you that.“
 
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Studienschulden und die Frage: „Why Does College Cost So Much?“
In einem Beitrag für die New York Times werben die Soziologen Charlie Eaton, Amber Villalobos und Frederick Wherry mit dem Argument für einen umfassenden Erlass von Studienschulden, dass die Schulden der wenigstens 43 Mio. Schuldner in den USA Ergebnis einer schlechten Bildungspolitik über die vergangenen Jahrzehnte seien und ein Erlass den Opfern dieser Fehler zugutekommen würde und nicht – wie etwa beim Bailout der Banken in 2008 – den Tätern. Explodiert seien die Schulden erst, nachdem die Clinton-Administration durch einen Buchhaltungstrick Darlehen des Bildungsministeriums an Studierende als „profitable assets“ statt als Ausgaben zu verbuchen begonnen und ein entsprechend starkes Interesse an der Ausweitung von Studiendarlehen entwickelt habe. Es heißt: „Today, 63 percent of Americans over 25 have attended at least some college, and most of them have borrowed to pay for it. From the time of Mr. Clinton’s expansion of federal student loan programs in 1993, total borrowing quintupled to a peak of almost $120 billion in 2010.”
Im Gleichschritt mit den leichter verfügbaren Darlehen seien die Preise für die Hochschulbildung gestiegen. Die einkommensabhängigen Pell Grants, die eigentlich ein schuldenfreies Studium ermöglichen sollten, seien dagegen von der Preisentwicklung abgehängt worden. Hinzugekommen sei dann noch eine Blüte gewinnorientierter Hochschulen, die vor allem Studierenden aus sozial schwachen Familien fragwürdige Bildungsabschlüsse zu Preisen verkauft habe, die neben Pell Grants die nun einfach zu bekommenden Studiendarlehen erforderlich machten. Es heißt: „Predatory for-profit colleges – which often went after Black undergraduates and low-income Pell recipients – especially plundered the expanded federal loan program, which paid them tens of billions of dollars for worthless diplomas or no degree at all. A promise of upward mobility quickly became a debt trap for borrowers and a financial bonanza for those receiving federal dollars to educate them.”
 
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Ein Beitrag geht im Chronicle of Higher Education der Frage nach: „Why Does College Cost So Much?“ Er bietet als eine Lösung die vom demokratischen Senator Chris Murphy und vielen seiner Kollegen angebotene Antwort, dass die Verfügbarkeit von Studienbeihilfen den Hochschulen die entsprechenden Möglichkeiten erst gegeben hätten, die Studiengebühren in solche Höhen zu treiben.
Die Debatte um einen möglichen Erlass von Studienschulden habe zu einer Verfestigung des Narrativs geführt, wonach hohe Studiengebühren für die Student Loan Crisis verantwortlich seien. Kevin Carey vom Think Tank New America wird dazu mit den Worten zitiert: „There is a very powerful cultural narrative in place now around student loans, which is: There is a student-loan crisis because college is too expensive. People have internalized that to a point that they just can’t really sort of see some of the numbers for what they are.”
Doch greife eine solche Erklärung zu kurz: „As readers of The Chronicle know, the reality can be more complicated than the narrative suggests. For students from some low-income families, the cost of college remains prohibitive. Still, many public colleges remain a steal, relatively speaking. And, because of discounting and institutional aid, some private colleges aren’t always as expensive as they initially seem.“
Aus dem Bündel möglicher Ursachen listet der Beitrag an erster Stelle den zunehmenden Rückzug der öffentlichen Hand aus der Grundfinanzierung des öffentlichen Teils der Hochschullandschaft. An zweiter Stelle folgt die Feststellung, dass Hochschulen immer mehr Geld ausgeben müssten und würden, und an dritter Stelle dann die hohen „Sticker Prices“, die auf der einen Seite ein Ausdruck des Selbstverständnisses der Hochschulen sind, auf der anderen Seite aber die öffentliche Debatte um die Höhe von Studiengebühren in die falsche Richtung steuerten.
 
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Studienfinanzierungsmodell der Purdue University in der Kritik
Der Chronicle of Higher Ecucation meldet eine Beschwerde des Student Borrower Protection Center beim US Department of Education gegen die Purdue University in Indiana wegen ihres Modells nachlaufender Studienfinanzierung und schreibt: „The program, originally dubbed ‘Bet on a Boiler‘ in 2015, was the first of its kind at a major university: An ‘income share agreement‘ that provided tuition aid to students in exchange for a small percentage of the student’s future earnings.“
Das mittlerweile in ‘Back a Boiler‘ umgetaufte Programm würde von einer gemeinnützigen Stiftung der Hochschule administriert, von privaten Investoren finanziert und habe in seinem Bestehen etwa $21 Mio. zur Förderung von etwa 1.000 Studierenden umgesetzt, ein Bruchteil der gegenwärtig auf 35.000 bezifferten Studierenden an der Hochschule. Nichtsdestotrotz sei das Modell politisch durch den Hochschulpräsidenten, Mitchell Daniels, favorisiert, der als ehemaliger republikanischer Gouverneur des Bundesstaats mit verschiedenen Strategien versucht habe, die Studienkosten zu senken und Studienschulden besser handhabbar zu machen. Hierzu heißt es: „Daniels, for example, has frozen tuition for a decade and even lowered the cost of room and board. In addition to raising more money for financial aid through institutional grants, Daniels sought to harness the power of the free markets. To pay for the program, the foundation created two private companies to attract investors to provide the student aid.“
Diese Investoren seien allerdings nicht aus reiner Nächstenliebe tätig, sondern wollten Erträge erzielen, wodurch die Rolle der Hochschule bei der Vermittlung des jeweiligen ‘income share agreement‘ (ISA) eine Rolle mit möglichen Interessenskonflikten zukomme, zumal ein ISA vom Studierenden auch ohne Zustimmung der Eltern unterzeichnet werden könne. Je nach Einkommen der Absolventen könnte ein ISA für die Investoren lohnend sein oder für die Studierenden. Je geringer das Einkommen nach Abschluss, desto lohnender für Absolventen, was sich auf der anderen Seite durch sehr gute Bedingungen für Investoren ausgleiche, sollte das Einkommen nach Abschluss hoch sein. Hierzu führt der Beitrag das folgende Rechenexempel auf: „If, for example, they receive $10,000 in aid from the program, and go on to earn $60,000 or more on a 5 percent income-share agreement, the payments could add up to $25,000; Back a Boiler participants could be responsible for paying a maximum of 250 percent of the original amount of aid. That’s far more than would be owed for even a private loan of $10,000 at 9.5 percent interest, which would total a little more than $17,000, according to Purdue.“
 
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Kurznachrichten
Inside Higher Education meldet die Übernahme der auf Videokonferenzen spezialisierten Firma Blackboard Collaborate durch die Firma Class Technologies, die sich während der Pandemie auf die Anwendung von Zoom in der Lehre konzentriert habe. Es heißt: „The deal is worth a reported $210 million.”
 
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Inside Higher Education meldet die Entlassung eines Professors an Princeton University, der vor zwei Jahren wegen eines rassistisch aufgefassten Kommentars in einem Essay aufgefallen gewesen sei. Die Entlassung habe aber andere Gründe: [He] was sanctioned (but not fired) for the relationship following that investigation, but Princeton reportedly reopened the case against Katz in 2021 after new allegations came to light.”
 
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Ein Beitrag geht im Chronicle of Higher Education der Frage nach, was hinter der Welle von Misstrauensbekundungen von Fakultäten gegen ihre jeweiligen Hochschulleitungen stecke und listet als jüngste Beispiel die University of Maine, Piedmont University, Sonoma State University, California State University at Los Angeles, University of Illinois at Springfield und die Henderson State University. Es heißt: „In 2021, at least 24 institutions saw no-confidence votes in their leaders.“ Der Beitrag sieht das Phänomen zusammen mit der sinkenden Zeit, in der Hochschulpräsidenten im Amt sind. Laut American Council on Education seien sie 2006 durchschnittlich noch 8,5 Jahre im Amt gewesen, derzeit nur noch 6,5 Jahre. Das habe Folgen: „Greater turnover (…) tends to create something of a leadership vacuum; leaders who don’t stay in their posts long term may have less opportunity to build trust with the faculty or to embed themselves in an institution’s culture.“
 
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