22.11.2021
Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
Die Themen dieser Woche:
  • Open Doors 2021: Zahlen des Institute of International Education
  • Atomisierung von Studienleistungen
  • Öffentlicher Hilferuf eines privaten Liberal Art College
  • Kurznachrichten
Liebe Leserinnen und Leser,
 
wir befassen uns in dieser Ausgabe mit den jüngsten Zahlen des Institute of International Education (IIE) zur Internationalisierung US-amerikanischer Hochschulen und mit der Entwicklung weg von klassischen Studienleistungen hin zu immer kleiner und deutlich berufsbezogener werdenden „Microcredentials“. Wir werfen zudem einen Blick auf einen Hilferuf eines privaten Liberal Art Colleges und – wie immer – auf verschiedene Kurzmeldungen.
 
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Gesundheit, Geduld und Zuversicht.
 
Stefan Altevogt
Open Doors 2021: Zahlen des Institute of International Education
Anfang vergangener Woche hat das Institute of International Education (IIE) mit „Open Doors“ ihren jährlich erscheinenden Überblick über die Internationalisierung US-amerikanischer Hochschulen herausgegeben, dessen mit Abstand am meisten beachteter Aspekt die Zahl internationaler Studierender ist, die an US-Hochschulen eingeschrieben sind. Diese ist zuletzt um 15% gefallen.
Die Zahl enthält – und das ist eine zuletzt wichtiger gewordene Einschränkung – nach wie vor diejenigen, die sich nach Studienabschluss noch auf einem Visum zum Sammeln berufspraktischer Erfahrungen befinden, dem Optional Practical Training (OPT). Für das OPT wird das Studierendenvisum entsprechend verlängert, im Regelfall um ein Jahr. Seit einigen Jahren gibt es in den STEM-Fächern auch eine zweijährige Verlängerungsmöglichkeit, so dass der Anteil der OPTler in der Gruppe derjenigen, die sich auf Studierendenvisa in den USA befinden, in der jüngeren Vergangenheit deutlich angewachsen ist. Lag der Anteil von OPTlern an den Studierendenvisa 2012 noch bei gut 11%, so hatte er sich zuletzt auf gut 22% verdoppelt. Anders gesagt: Von den 914.000 Menschen, die zur Jahreswende 2020/21 auf einem Studierendenvisum in den USA gewesen sind, waren nur 710.000 an US-Hochschulen eingeschrieben und 204.000 sammelten als OPTler berufspraktische Erfahrungen. Die Zahl der an den Hochschulen eingeschriebenen Studierenden ist also noch deutlicher als die oben genannten 15% gefallen, nämlich um 16,6%. Entsprechend sollte sich eigentlich auch die in den Open Doors ausgewiesene Prozentzahl zur Internationalisierung der Campi auf die Zahl der tatsächlich Eingeschriebenen beziehen und die OPTler nicht mitzählen. Dann kämen US-Hochschulen zuletzt noch auf eine Internationalisierungsquote von 3,6% und nicht auf die angegebenen 4,6%.
Doch auch ohne den OPT-Vorbehalt sehen die jüngsten Zahlen von Open Doors nicht gerade ermutigend aus, selbst wenn man die Verwerfungen durch die Corona-Pandemie berücksichtigt. Vor der Pandemie war schon zu beobachten gewesen, dass die Zeiten des Wachstums des „Marktanteils“ der USA am „Geschäft mit den internationalen Studierenden“ erst einmal vorbei sind und man sich auf einen Rückgang der Zahlen derjenigen einstellen muss, die mit ihren Studiengebühren einen überproportional hohen (internationalen Studierenden werden i.d.R. keine Rabatte oder Finanzierungshilfen seitens der Hochschulen gewährt) Deckungsbeitrag zur Finanzierung der Hochschulen leisten. Das wäre umso wichtiger, als insgesamt die Zahl der Studierenden an US-Hochschulen seit seinem jüngsten Peak 2012/13 gefallen ist und voraussichtlich in den kommenden Jahren noch weiter fallen wird. Entsprechend müssten Hochschulen mit einem hohen Anteil internationaler Studierender und entsprechender finanzieller Abhängigkeit mit Sorge auf die folgende Entwicklung schauen: Lag der Anteil der „Internationalen“ (ohne OPT) 2017/18 noch bei durchschnittlich 4,5%, so war er zuletzt auf die oben bereits erwähnten 3,6% abgesunken.
Angesichts der Stratifizierung der Hochschullandschaft ist es nicht verwunderlich, dass einige wenige Hochschulen eine nach wie vor sehr große Anziehungskraft auf internationale Studierende haben. So waren von den etwa 55.000 Studierenden der New York University 17.000, also über 30%, internationale Studierende, die University of Southern California kommt ebenfalls auf eine Quote von über 30%. Bei der Northeastern University, die laut Wikipedia insgesamt 27.000 Studierende eingeschrieben hat, sind laut Open Doors sogar knapp 16.000 der Studierenden (also fast 60%) auf Studierendenvisa im Land.
Bei der Entwicklung der Zahlen nach Herkunftsregion fällt auf, dass das Interesse von Europäern an einem Studium in den USA zuletzt mit 24,3% deutlich überproportional nachgelassen hat, das Interesse aus Deutschland um 42%. Das Interesse aus den beiden für US-Hochschulen mit Abstand marktrelevantesten Herkunftsländern China und Indien entwickelte sich mit -14,8% bzw. -13,2% dicht am weltweiten Durchschnitt, während das Interesse aus Kanada nur um 3,3% zurückgegangen ist.
 
Sie finden die jüngsten Zahlen hier.
 
Der Beitrag des Chronicle of Higher Education zu den Open Doors zitiert auch die regelmäßig zu den Open Doors durch Nafsa: Association of International Educators veröffentlichten Zahlen zum Eintrag der internationalen Studierenden in das Bruttoinlandprodukt der USA und schreibt: „The contribution international students make to the broader U.S. economy plummeted 27 percent in 2020, to $28.4 billion.“
 
Sie finden den Beitrag hier.
 
Nafsa selber ergänzt, dass internationale Studierende in den USA Arbeitsplätze für mehr als 300.000 Menschen unterhalten würden, und führt weiter aus: „The economic contributions of international students are in addition to the immeasurable academic and cultural value these students bring to our campuses and local communities.“
 
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Vergleichsweise optimistisch ist dagegen der Blick der Washington Post auf die Entwicklung der Zahlen. Nach Jahrzehnten kontinuierlichen Wachstums habe es während Covid-19 einen Knick und entsprechend geringere Zahlen gegeben, obgleich zu den 914.000 internationalen Studierenden auch diejenigen gezählt worden seien, die wegen der Pandemie nicht hätten einreisen können und das Studium virtuell durchgeführt hätten. Bei zwei Bewertungen ist man vielleicht zu optimistisch, wenn es heißt: „Even with the decline, international students made up 5 percent of all those in U.S. higher education, adding $39 billion to the national economy in 2020.“ Die 5% sind aufgerundete 4,6% und lassen die OPTler unberücksichtigt und die $39 Mrd. sind nicht die üblicherweise von Nafsa zitierten $28,4 Mrd.
 
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In noch deutlich größerem Umfang, nämlich um zuletzt 53,1%, ist die Zahl der US-Amerikanerinnen und –Amerikaner zurückgegangen, die eine anrechenbare Studienleistung im Ausland erbracht hat. Hier wurden zuletzt noch 162.633 gezählt, bei gut 19 Mio. Studierenden eine Quote von knapp 0,9%.
 
Sie finden diese Zahlen hier.
 
In Kanada freut man sich laut CtvNews, dass gemessen an Google-Suchdaten das Land derzeit das international attraktivste Land für ein Auslandsstudium sei. Dieser Neugier folgten auch die Zahlen von internationalen Studierenden in Kanada, die sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre auf mittlerweile mehr als 300.000 mehr als verdreifacht hätten. Die internationalen Studierenden würden über ihre Studiengebühren inzwischen auch einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der Hochschulen leisten.
 
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Atomisierung von Studienleistungen
In einem Beitrag auf University Affairs befasst sich Loleen Berdahl mit einer erwarteten Bedeutungszunahme sogenannter „Micro-Credentials“, „Badges“ oder „Certificates“ gegenüber klassischen Studienabschlüssen der Kategorien Bachelor/Master/PhD/Professional Degree und fordert die Fakultätsmitglieder an den nordamerikanischen Hochschulen auf, sich mit dieser Entwicklung konstruktiv auseinanderzusetzen, statt nur zu sagen: „Oh my!“ Es heißt: „As anyone working in university leadership has heard, non-degree programming is expected to play a big part in the future of higher education. Microcredentials – also known as micro-credentials (the hyphenation question has yet to be settled), nano-credentials, badges, certificates, alternative credentials, and probably several other names – were creating buzz before COVID-19. The pandemic has further fuelled momentum.” Es wäre also ein Fehler, Microcredentials als eine Art Modeerscheinung wie zuletzt die Massive Open Online Courses (MOOCs) anzusehen, die ohne bleibenden Einfluss auf die Arbeit der Hochschulen bleiben würde.
Darum müssten sich Fakultätsmitglieder eben auch in die Entwicklung der Microcredentials einbringen und dabei die folgenden vier Aspekte berücksichtigen: Welche Lücken können durch Microcredentials gefüllt werden, welchen Eintrag können Microcredentials auf das Ziel der Studierendendiversität leisten, welchen Beitrag können Microcredentials dabei leisten, Studierende besser auf das Berufsleben vorzubereiten und wie lassen sich Microcredentials in die Aufgabe von Hochschulen einbinden, zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung beizutragen. Sie fasst ihren Apell mit den Worten zusammen: „Overall, I encourage faculty and units to get ahead of the curve here, rather than waiting to be told what to do.”
 
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Öffentlicher Hilferuf eines privaten Liberal Art College
Zu einem ungewöhnlichen Mittel habe laut Chronicle of Higher Education die Präsidentin des Bloomfield College in New Jersey, Marcheta Evans, gegriffen, indem sie die prekäre Lage des Liberal Arts College in einem offenen Brief auf der Webseite der Hochschule öffentlich gemacht habe. Als das einzige private College im Bundesstaat, das vorwiegend Minderheiten ausbilde – die einschlägigen Kategorien lauten hier „Predominantly Black Institution (PBI), Hispanic Serving Institution (HSI) und Minority Serving Institution (MSI)“ – sei Bloomfield vor allem wegen eines geringen Hochschulvermögens von zuletzt nur noch $14 Mio. in einer Zwickmühle aus mit 71% recht hohem Anteil der Hochschulausgaben, die aus Einnahmen aus Studiengebühren gedeckt werden müssten, und den finanziellen Möglichkeiten der Familien, aus denen sich der weit überwiegende Anteil der Studierenden rekrutierten. Hierzu heißt es: „With a median family income of below $32,000, our students are often some of the neediest students in the country and are the first in their families to pursue and earn a college diploma.”
Weil die Klassenräume gefüllt werden müssten, sei in den vergangenen zehn Jahren die Acceptance Rate, also der Anteil der bewilligten Anträge auf Studienzulassung, von 49% auf 85% gestiegen, während gleichzeitig der Anteil der angenommenen Studierenden, die dann tatsächlich auch das Studium aufgenommen hätten (Yield), von 27% auf 11% abgesunken sei. Immer mehr, so scheine es, gelte die Hochschule als nicht weiter überlebensfähig. Sie sei dabei aber nicht allein. Es heißt: „Bloomfield’s multiyear enrollment decline and budgetary challenges – both made worse by the pandemic – aren’t unique among small, tuition-dependent private colleges. Since the pandemic began, both factors played a role in the closure or merger of similar institutions, such as MacMurray College and Mills College.”
 
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Sie finden das Schreiben hier.
 
Ein weiterer Beitrag im Chronicle of Higher Education wirft einen Blick auf die ebenfalls prekäre finanzielle Situation der Kentucky State University, der einzigen Einrichtung der Kategorie „Historically Black Colleges and Universities (HBCU)“ im Bundesstaat. Es heißt: „Aaron Thompson, president of the Council on Postsecondary Education, told Kentucky lawmakers Tuesday that the historically Black university needs at least $23 million to keep its doors open.”
 
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Kurznachrichten
Das National Student Clearinghouse Research Center hat laut Chronicle of Higher Education die jüngsten Zahlen zu Einschreibungen an US-amerikanischen Hochschulen veröffentlicht, die den Trend nachlassender Studierendenzahlen bestätigten. Danach sei die Zahl der Undergraduates in den USA im vergangenen Jahr um 3,5% gefallen, gegenüber 2019 sogar um 8%. Gegenläufig sei allerdings die Entwicklung in den Graduate-Programmen der Hochschulen. Hierzu heißt es: „Graduate attendance grew 2.1 percent, in line with last fall’s trend of a 2.7-percent increase.”
 
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Die New York Times befasst sich mit den Chancen des Weiterlebens von Affirmative Action angesichts zweier, beim US Supreme Court anhängiger Klagen gegen die Bevorzugung bislang unterrepräsentierter Gruppen in den Zulassungsverfahren hochselektiver Hochschulen. Die Kläger in den Verfahren gegen die Praxis an Harvard und an der University of North Carolina at Chapel Hill hätten das Gericht darum gebeten, beide Fälle gemeinsam zu betrachten, und sie erhofften sich davon ein Urteil von landesweiter Geltung. Es heißt zu den Erfolgsaussichten der Klagen: „The Supreme Court has tilted more conservative in recent years with the addition of three justices nominated by former President Donald J. Trump. They are considered potentially receptive to arguments against race-conscious admissions practices, emboldening opponents of affirmative action.”
 
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Ein Beitrag auf der Webseite „From PhD do Life“ rät Professorinnen und Professoren dringend, bei ihren Empfehlungsschreiben für ehemalige Studierende peinlich darauf zu achten, dass nicht der Eindruck entstehe, Karrieren außerhalb der akademischen Welt müssten als „Scheitern“ aufgefasst werden. Zu oft heiße es noch „unfortunately“ oder „it’s such a shame“, wenn Promovierte keine feste Anstellung an einer Hochschule fänden und irgendwo in der Privatwirtschaft arbeiteten, dabei läge es durchaus im Bereich des Möglichen, dass man als PhD auch außerhalb von Hochschule glücklich und im positiven Sinne wirksam sein könne. Es heißt: „It’s possible your students might make an even bigger impact outside academia than they ever would have within in. That’s definitely something to celebrate.”
 
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Die Association for the Advancement of Sustainability in Higher Education (AASHE) hat die jüngste Ausgabe ihres Sustainable Campus Index herausgegeben, der Hochschulen in 17 Kategorien bewertet, angefangen von der Energiebilanz der Hochschulgebäude, über Personentransporte und Recycling-Routinen bis hin zur ökologisch einwandfreien Anlage von Hochschulvermögen und nachhaltigem Einsatz der Hochschule in ihrer Rolle als Marktteilnehmer.
 
Sie finden den Index hier.