29.11.2021
Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
Die Themen dieser Woche:
  • Blick in die Zukunft: US-Hochschulen in 15 Jahren
  • Attraktivität für internationale Studierende: Kanada vs. USA
  • Schritte gegen die Verschuldung von Hochschulabsolventen
  • Kurznachrichten
Liebe Leserinnen und Leser,
 
wir befassen uns in dieser Ausgabe mit einem Blick in die Zukunft der US-Hochschullandschaft und mit den gegenläufigen Tendenzen beiderseits des 49. Breitengrads im Hinblick auf die Attraktivität für international mobile Studierende. Wir werfen zudem einen Blick auf Pläne an Ohio State University, die Verschuldung ihrer Bachelor-Absolventen in den kommenden Jahren drastisch zu reduzieren, und – wie immer – auf verschiedene Kurzmeldungen.
 
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, Gesundheit, Geduld und Zuversicht.
 
Stefan Altevogt
Blick in die Zukunft: US-Hochschulen in 15 Jahren
In einem Beitrag auf Inside Higher Education wagt Steven Mintz, Geschichtsprofessor an der University of Texas in Austin, eine Prognose zur Situation US-amerikanischer Hochschulen im Jahr 2036/37. Er geht dabei der Frage nach, ob Higher Education dann noch stärker von technologischen Fortschritten getrieben, virtuell oder wenigstens in hybriden Unterrichtsformaten durchgeführt, auf die Vermittlung von beruflich anwendbaren Fertigkeiten konzentriert, personalisiert, flexibel und auf die Lernergebnisse fokussiert sein werde?
Selbst mit den üblichen Einschränkungen eines Blicks in die Kristallkugel gäbe es immerhin ein paar Rahmenbedingungen, die sich jetzt schon beschreiben ließen, allen voran: „We should expect the unexpected.“ Ob es nun eine neue Pandemie sei, eine politische Radikalisierung gleich in welche Richtung oder eben etwas noch völlig Unbekanntes, seismische Störungen des Planungshorizonts werde es auch in Zukunft geben, „with unpredictable implications“.
Diesseits des Nebulösen spricht er dann aber doch von einigen konkreten Bedrohungen für die traditionelle Hochschullandschaft und nennt als Beispiele die Atomisierung von Studienleistungen, „alternative“ und stark berufsbezogene Studieninhalte, die Privatisierung der Hochschulen und das Eindringen populärer sogenannter „Brand Names“ in die Landschaft, wobei Mintz hier vermutlich die MOOCs von Elitehochschulen wie dem MIT in die Zukunft extrapoliert. Womit auch immer gerechnet werden müsse, seien Risiken und Nebenwirkungen von Reformprozessen in der Hochschullandschaft. Er schreibt: „Even well-intended reforms (for example, common requirements across public university systems) can have aftereffects that are difficult to anticipate beforehand.”
Trotz aller Unwägbarkeiten müssten Hochschulleitungen durchaus einen Planungshorizont von 15 Jahren im Blick haben und sich auf wenigstens vier Tendenzen einstellen. Angesichts der demografischen Entwicklung würde vor allem im Nordosten des Landes und im Mittleren Westen die Zahl der Studierenden im Alter zwischen 18 und 24 rückläufig bleiben. Teile des klassischen Kanons der Undergraduate Education könnten sich zudem in die Bildungsbereiche der Oberschulen verlagern, etwa durch dual degree bzw. early college opportunities, mit der Folge, dass Hochschulen ihre Einführungskurse nicht mehr zu den gewohnt hohen Preisen an Studierende verkaufen könnten. Insgesamt würde sich der Wettbewerb zwischen den Bildungsanbietern der Hochschullandschaft verschärfen, ein Vorgang, der bereits heute zu beobachten sei: „Already, alternatives to a traditional college education are proliferating, even if some of the threats (like the for-profits or the various boot camps) have fallen by the wayside. Competitors include fully online providers and certificate and certification programs.” Die Frage der Erschwinglichkeit von Hochschulbildung werde auf die ein oder andere Weise gelöst werden müssen, um zu verhindern, dass nur noch Kinder aus wohlhabenden Elternhäusern studieren könnten. Schließlich werde sich die Frage nach Teilhabe an Hochschulbildung für alle gesellschaftlichen Gruppen noch dringender stellen als bislang.
Für das System insgesamt benennt Mintz dann noch eine Reihe von Variablen, die das Gesamtbild in seiner Entwicklung entweder im Zusammenspiel oder auch alleine maßgeblich beeinflussen könnten, darunter die künftige Ausrichtung von Community Colleges als entweder (wie bislang) stark berufsbezogene Einrichtungen oder durch vermehrte Angebote von Bachelor-Abschlüssen als eine preiswertere Alternativen zu den öffentlichen vierjährigen Hochschulen. Ein weiterer möglicher Kipppunkt einer künftigen Entwicklung könne schließlich auch der Bereich des „lifelong learning“ werden, also der berufsbegleitenden Weiterbildung, die entweder von traditionellen Hochschulen angeboten werden könnten, mit Hilfe von MOOCs durch große Konzerne wie Amazon, Google und Microsoft, oder aber durch eine Kombination aus beidem.
Was allerdings die bisherigen Erfahrungen mit den MOOCs gezeigt hätten, seien die strkturellen Vorteile der klassischen Bildungsangebote an Hochschulen. Diese müssten künftig noch stärker betont werden. Er schreibt: „Colleges and universities need to double down on their comparative advantages: the personal relationship between faculty and students, the rich and robust extracurriculum, and opportunities for experiential and project-based learning.”
 
Sie finden den Beitrag hier.
 
In einem weiteren Beitrag befassen sich Arthur Levine und Scott Van Pelt ebenfalls auf Inside Higher Education mit dem Strukturwandel in der US-amerikanischen Hochschullandschaft. Die Autoren des jüngst bei Johns Hopkins University Press erschienenen Buchs „The Great Upheaval: Higher Education’s Past, Present, and Uncertain Future” sehen fünf neue und die Entwicklung bestimmende Realitäten, die, und das scheint hier zentral zu sein, nicht von den Hochschulen selbst beeinflusst werden könnten. Neue Anbieter von Bildungsinhalten und neue Vertriebsstrukturen würden weiterhin in den Markt drängen, den Wettbewerbsdruck erhöhen und die Preise nach unten drücken. Entsprechend würden die Anbieter von Bildung Marktmacht verlieren und die Nachfragenden Marktmacht gewinnen. Angesichts eines nahezu universellen Zugangs zum Internet und zu digitalen Geräten würden Studierende gegenüber Hochschulen zunehmend als Konsumenten kleinstmöglicher Inhalte und Erfahrungen auftreten, wie sie es bereits jetzt schon gegenüber der Informations- und Unterhaltungsindustrie tun. Bildungsinhalte würden stärker in das Zentrum von Hochschulbildung rücken und die Bildungsprozesse dagegen eher in den Hintergrund. Schließlich: „The dominance of time-bound degrees and ‘just-in-case’ education will diminish. Meanwhile, non-degree certifications and ‘just-in-time’ education will increase in status and value.”
 
Sie finden diesen Beitrag hier.

Attraktivität für internationale Studierende: Kanada vs. USA
Statistics Canada hat einen neuen Bericht herausgegeben, der zeigt, dass vor Covid-19 internationale Studierende in Kanada der wesentliche Treiber des Wachstums in den Einschreibungs- und Absolventenzahlen der Hochschullandschaft gewesen seien. Zwischen 2018/19 und 2019/20 hätten sich die Einschreibungen von Studierenden aus dem Ausland um 13,7% erhöht, während die „Binnennachfrage“ um 0,9% gesunken sei. Bei den Absolventenzahlen sei der Effekt sogar noch größer: „International college graduates led the growth of graduates in 2019, with a 33.6% increase in international student graduates compared to 2018.“
 
Sie finden die Zahlen hier.
 
Südlich des 49. Breitengrads, so ein Beitrag in den Issues in Science and Technology, habe die internationale Attraktivität der Hochschullandschaft dagegen ihren (vorläufigen) Höhepunkt überschritten. Der noch für 2019 auf $44 Mrd. bezifferte Eintrag des „Exportguts“ Hochschulbildung auf die US-amerikanische Wirtschaftsleistung sei damit ebenso in Gefahr wie – infolge des Ausbleibens internationalen Talents und Unternehmergeists – auch der Standort USA als Land innovativer Hochtechnologie.
Der Beitrag zeichnet den Weg der USA an ihre bislang noch unangefochtene Spitzenstellung im Wettbewerb um international mobiles Talent nach, das rasante Wachstum der Zahl internationaler Studierender in den USA zwischen 1980 und 2017 um 300% auf dann über eine Million, den wachsenden Anteil von STEM-Studierenden unter ihnen und schließlich auch die stark gewachsene Bedeutung von China als Herkunftsland der internationalen Studierenden in den USA. Den Studiengebühren internationaler Studierender sei vor allem in den vergangenen 15 Jahren eine enorme Bedeutung für die Hochschulen zugewachsen, weil sich die öffentliche Hand aus der Grundfinanzierung deutlich zurückgezogen habe. Es heißt: „Between 2005 and 2012, revenue from international students helped public research universities withstand the steady decline in state funding for higher education, enabling universities to keep tuitions affordable for native-born students through the 2008 recession. International student revenue even allowed universities to increase expenditures and, for example, expand their STEM-related departments – perhaps improving the quality of US higher education overall.”
Dass die Einkünfte aus Studiengebühren zuletzt allerdings zu einem immer größer werdenden Teil Einkünfte von Studierenden aus China gewesen seien, würde sich jetzt eben auch als eine Achillesferse erweisen, denn aus verschiedenen Gründen, namentlich vor allem bessere Angebote in anderen Zielländern, Verbesserung der Bildungsangebote in China selbst und die Verschlechterung des politischen Klimas zwischen den USA und China, sinke gerade die Attraktivität der USA für Studierende aus China. In Kalifornien wolle man sogar dazu übergehen, an den öffentlich finanzierten Hochschulen die Anzahl der Studienplätze für internationale Studierende zu begrenzen, um den Landeskindern bessere Bildungschancen zu geben.
Beide Tendenzen seien für die Hochschullandschaft insgesamt bedrohlich: „Colleges and universities would stand to lose much needed revenue at a time of economic crisis, and industry would lose entrepreneurial and STEM talent at a time when there is greater demand for innovation in technology and medicine. During this time of significant economic and policy change, the evolving interconnections between student immigration, economic growth, and technological progress are important reminders of the globalized nature of modern higher education.”
 
Sie finden den Beitrag hier.
Schritte gegen die Verschuldung von Hochschulabsolventen
Der Chronicle of Higher Education berichtet über die Pläne der Präsidentin der Ohio State University (OSU), Kristina Johnson, die Zahl der durch die Studienkosten verschuldeten Bachelor-Absolventen auf Null zu drücken. Derzeit habe fast die Hälfte der Absolventen noch einen Schuldenstand von über $27.000. Die Ingenieurin und ehemalige Kanzlerin der State University of New York (SUNY), des landesweit größten Hochschulsystems, möchte das Ziel innerhalb der kommenden zehn Jahre erreichen. Sie habe dazu jetzt einen Plan vorgelegt, der vorsehe, die Mittel aus den verschiedenen Darlehensprogrammen des Bundes in den Finanzierungsplänen für die Studierenden durch hochschuleigene Stipendien und Verdienstmöglichkeiten durch Praktika und wissenschaftliche Hilfskraftarbeiten an der Hochschule zu ersetzen.
Johnson trage sich bereits seit 40 Jahren mit dem Gedanken, was wohl aus ihr geworden wäre, hätte sie nach ihrem Bachelor Degree an Stanford University Studienschulden gehabt. Sie hätte sich vermutlich gegen die Grad School entschieden und hätte entsprechend nicht die Karriere gemacht, die sie gemacht hat und die sie in die Leitungsfunktion von SUNY und jetzt OSU gebracht habe. Einen entsprechenden Grad von Freiheit wolle sie nun auch für die Bachelor-Absolventen von OSU bewirken. Es heißt: „If Ohio State students aren’t burdened by loans, then they can more easily consider graduate school, Johnson said, or take a job because they love it, not just for the salary.”
Derzeit konzentriere sich die Debatte um Studienschulden vor allem auf die kurzfristige Frage der Stundung der Schulden und nicht auf das längerfristige Problem ihrer Entstehung. Wolle man das Schuldenproblem bei der Wurzel packen, so Johnson und mittlerweile auch eine kleine Gruppe vor allem privater und hochselektiver Hochschulen mit großen Stiftungsvermögen im Verhältnis zur Studierendenzahl, dann müssten vor allem für Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten andere Wege der Studienfinanzierung gefunden werden. An OSU gehe man aber noch einen Schritt weiter. Es heißt: „Ohio State’s program, called the Scarlet & Gray Advantage, will not be linked to the income of participants, so many middle-class families should also benefit. And unlike many other programs, Ohio State’s plan is meant to cover the full cost of attendance, including books, travel, and daily expenses, not just tuition and fees.”
 
Sie finden den Beitrag hier.
Kurznachrichten
Ein Beitrag befasst sich im Chronicle of Higher Education mit dem derzeitigen Problem einzelner Hochschulen, die durch Corona-bedingte Entlassungen in den vergangenen 18 Monaten freigewordenen Stellen wieder zu besetzen. Das Arbeitsklima an Hochschulen würde zunehmend als schlecht empfunden, die Arbeitsbelastung und die gesundheitlichen Risiken als zu hoch. Es heißt in der Überschrift: „Higher ed used to be insulated from the whims of the labor market. No more.”
 
Sie finden den Beitrag hier.
 
In einem Beitrag auf Inside Higher Education rät Michael Schwalbe, Professor für Soziologie an der North Carolina State University, seinen Kolleginnen und Kollegen dringend davon ab, ihre jeweiligen Vorlesungen von den Hochschulen zur weiteren Verwendung aufzeichnen zu lassen, weil er eine zentralisierte Kontrolle der vermittelten Lerninhalte fürchtet. Er schreibt: „As faculty members faced with the prospect of having our classrooms centrally surveilled, we should opt out immediately – and urge others to do the same. Resistance by faculty unions and shared governance bodies is also necessary, or else the intellectual freedom the classroom has historically afforded will be lost.”
 
Sie finden diesen Beitrag hier.
 
Ein Beitrag auf Inside Higher Education befasst sich mit den von Hochschule zu Hochschule sehr verschiedenen Covid-Protokollen anlässlich der Feiertage über Thanksgiving, zu denen viele Studierende nach Hause zu ihren Familien reisen und danach wieder an die Hochschulen zurückkehren würden. Es heißt: „Compared to last year, when some institutions refused to let students leave for the holiday and others ended the semester early, not letting them return until January, administrators seem relatively untroubled by the prospect of a spike in COVID-19 cases after the holiday.”
 
Sie finden diesen Beitrag hier.