Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.
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Die Themen dieser Woche:
- Diskussion um das Tenure-Modell
- Kritik an Football ist nicht erwünscht
- Debatte über entlarvende Satire im akademischen Betrieb
- Kurznachrichten
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Liebe Leserinnen und Leser,
in dieser Ausgabe befassen wir uns ein weiteres Mal mit der Diskussion um das Tenure-Modell
und mit einem Beispiel für die nicht immer erwünschte Kritik an Sportprogrammen US-amerikanischer Hochschulen. Wir werfen zudem einen Blick auf die Debatte über die Sinnhaftigkeit von satirischen Verzerrungen des akademischen Betriebs und schließlich auf verschiedene Kurznachrichten der Woche.
Ich wünsche Ihnen wie immer eine interessante Lektüre.
Stefan Altevogt
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Diskussion um das Tenure-Modell
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Mit „The Left-Wing Case Against Tenure” bringt der Chronicle of Higher Education einen Beitrag von William Egginton, einem geisteswissenschaftlichen Professor an der Johns Hopkins University, zur fortgesetzten Debatte um die Sinnhaftigkeit eines Beschäftigungsmodells, das außerhalb von Hochschulen seinesgleichen suche. Es heißt: „Outside of higher education, tenure is a four-letter word [nicht manure, aber so ähnlich]. Academe is the only profession in which employees can hope for such thorough protection from termination.” Das mache US-amerikanische Hochschulen zu einem beliebten Ziel eines mitunter auch als „volkstümlich” verkauften Zorns vor allem republikanischer Politiker wie dem State Representative Rick Brattin aus Missouri, der nicht nur alle künftigen Entfristungen hätte verbieten, sondern auch bestehende Tenure-Verhältnisse an den Hochschulen des Bundesstaates per Gesetz hätte annulieren wollen.
Seien Angriffe auf das Tenure-Modell von der politischen Rechten mittlerweile als gewöhnlich und Teil der Folklore abzutun, so müsse man doch andere Argument gegen das Modell ernstnehmen: „Tenure promotes unjust labor relations; discourages risky and innovative thinking during scholars’ most productive years; and intensifies the tendency of faculty to reproduce themselves, not only by area and interest, but also by gender, race, and class.”
Als ein Produkt der Mitte des 19. Jahrhunderts und ein Anfang des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger kodifiziertes System, habe es sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts vor allem Dank einer Entwicklung in Richtung einer Nische bewegt: „College faculties have grown, but the number of tenured positions has plateaued or, in many cases, dwindled. In 1970 less than a third of college professors were part time; in 2011, 50 percent were, while another 20 percent held non-tenure-track titles such as lecturer.” Im Spitzensegment der Hochschullandschaft werde dies noch von einem dramatischen Wettbewerb auf dem Tenure-Track begleitet, auf dem nur noch die allerwenigsten und allerbesten das Ziel auch erreichten. Es heißt: „What other profession tells its new employees to expect to be fired, not if they fail to do their job, but if they fail to be the very best in the world at their job?”
Der Tenure-Entscheidung komme somit eine enorme Bedeutung zu. Sie erzeuge eklatante Ungerechtigkeiten oder – schlimmer noch – Fehlentscheidungen: „I have seen (...) the conferral of tenure – a largely irrevocable decision – on faculty who abuse the privilege by ceasing to do any research and devoting themselves instead to terrorizing the untenured.” Sie zwinge darüber hinaus die Kandidaten auf einen sehr engen akademischen Pfad, sei also der Struktur nach konservativ und tendiere dazu, diejenigen zu bevorzugen, die genau so seien wie das Entscheidungsgremium (vielleicht eine Spur schlechter). Dies sei aber gerade nicht Sinn und Zweck des Tenure-Modells und darum fordert Egginton: „If we want to retain tenure’s vital mission, we need to ensure its fairness.”
Statt eines Alles-oder-Nichts wie im derzeitigen Modell müsse für Forschung und Lehre an Hochschulen gleichermaßen gelten, dass die Anstellungsverhältnisse regelmäßiger Überprüfung unterliegen müssten. Nur wer dauerhaft nachweise, dass seine weitgehende Befreiung von Lehraufgaben auch tatsächlich zu Forschungsergebnissen führe, bliebe von der Lehre entlastet, andernfalls müsse er oder sie wieder mehr lehren, ohne dass freilich der Kündigungsschutz des Tenure-Modells davon betroffen sei.
Und schließlich: „The tendency of departments to be governed exclusively by tenured professors should end; teaching and research are equal partners in our universities’ missions and should be respected as such.”
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Ein weiterer Beitrag befasst sich mit einem Problem, das Hochschulen im Hinblick auf Sanktionsmöglichkeiten gegenüber ihren entfristeten Professoren haben. Hintergrund des Beitrags ist die jüngste Entscheidung an Yale University, einem bereits vor Jahren des sexuellen Fehlverhaltens für schuldig befundenen Professor eine Stiftungsprofessur zu entziehen, und dies sei auch nur geschehen, nachdem sich Beschwerden über die fortdauernde Ehrung durch die Stiftungsprofessur gehäuft hätten. Unterhalb der Sichtbarkeit von Fällen wie diesem (oder anderen prominenten Namen wie Gopal Balakrishnan und Avital Ronell) seien Hochschulen häufiger als man vielleicht vermuten würde mit der Notwendigkeit konfrontiert, zu degradieren statt zu befördern. Nicht die ohnehin bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringenden Fälle seien dabei das Problem, sondern eine Vielzahl von Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, finanzieller Unregelmäßigkeiten und ähnlichen Dingen, die zur Bewältigung innerhalb der Hochschule verblieben. Hierzu fehle aber oft an transparenten Verfahrensregeln und an der Bereitschaft von Fakultätsmitgliedern, über ihre Peers zu Gericht zu sitzen: „The path to sanctions, demotion, or firing is a winding, subterranean one of private hearings.”
In den Hearings der Disciplinary Committees würden die Fakten zusammengetragen und Empfehlungen für die Hochschulverwaltungen vorbereitet, die dann wiederum mit Hilfe von Richtlinien der American Association of University Professors über möglicherweise fällige Sanktionen entscheiden würden. Die Bereitschaft zur Mitwirkung an Disciplinary Committees sei aus verständlichen Gründen gering und diejenigen, die es täten, würden sich auch selten dazu äußern.
Es gäbe allerdings keine praktikable Alternative zu dieser Selbstkontrolle und -v
erwaltung von Hochschulen, denn: „Deans and presidents are so focused on the prestige, the money, and these star professors [die in berechtigte Kritik geraten] that bring millions in funding from NIH and NSF that they forget about their mission sometimes, and they forget about the values, and that’s when institutions start to lose the moral fabric.”
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Kritik an Football ist nicht erwünscht
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Inside Higher Education befasst sich mit der Klage von Michael Stern, einem Professors an der Auburn University (AU) im US-Bundesstaat Alabama gegen seine Universität, die ihn laut Klage unter anderem dafür gemaßregelt habe, dass er Kritik an den geringen Erfordernissen geübt habe, Dank derer athletisch hervorragend begabte Studierende in den Sportprogrammen der Hochschulen im akademischen Soll gehalten werden.
Die Hochschulverwaltung habe 2014 entgegen der Empfehlungen der Fakultätsmitglieder mit „Public Administration” ein Programm am Leben erhalten, dessen hauptsächlichen Nutznießer Stern zu erfragen sich erdreistet gehabt hätte. Stern sei ein aufmerksamer Leser einer 2014 veröffentlichten Untersuchung des Programms durch den ehemaligen Football-Profi und Mathematiker John Urschel gewesen, die die extreme Fooball-Lastigkeit des Programms belegte: 23 von 48 als Upperclassmen eingeschriebene Footballer an AU hätten das Programm belegt, verglichen mit 88 von insgesamt mehr als 11.000 Upperclassmen an der Hochschule. Urschel schrieb seinerzeit: „The odds of something this extreme happening by chance is about one in three undecillion. For those of you not familiar with your large numbers past trillion, that is a digit 3 followed by thirty-six zeros! Yes, 1 in 3,000,000,000,000,000,000,000,000,000,000,000,000. That’s roughly equivalent to you flipping a coin and landing on heads 125 times in a row.”
Natürlich behaupte niemand, dass es sich bei der Häufung von Footballern im Programm „Public Administration” an AU um Zufall handele, doch sei man der festen Überzeugung, dass Stern nicht alles das hätte sagen müssen, was er als wahr erachte: „The next day, Joseph Aistrup, then the College of Liberal Arts dean, emailed Stern, chastised him for a lack of diplomacy and pressed him to apologize to public administration faculty.”
In Zusammenarbeit zunächst mit dem Wall Street Journal und dann mit Inside Higher Education habe Stern dann aber darauf bestanden, dass zum einen das akademisch fragwürdige Programm eingestellt und dass er zum anderen wieder als Chair seines Departments eingesetzt würde. Letztere Frage müsse nun ein Gericht entscheiden und wahrscheinlich damit auch, wie hoch „Hochschulraison” gegenüber freier
Meinungsäußerung in der universitären Werteskala anzusiedeln sei.
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Debatte über entlarvende Satire im akademischen Betrieb
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Seit 1996 kennt und wahlweise liebt, fürchtet oder verachtet man in englischsprachigen Hochschullandschaften den nach dem Physiker Alan Sokal benannten „Sokal Hoax”, einen nur scheinbar wissenschaftlichen Aufsatz in einem in der Regel geistes- oder sozialwissenschaftlichen Feld, der trotz kaum verhüllter Absurdität veröffentlicht wird, weil er auf der politischen Linie des veröffentlichenden Journals liegt und/oder einen spezifischen Jargon pflegt. Sokal hatte seinerzeit gezeigt, dass es Quantengravitation nicht wirklich, sondern nur als soziales und sprachliches Konstrukt gebe, und das Paper war in der Zeitschrift Social Text veröffentlicht worden, ohne dass es im Begutachtungsverfahren einem Physiker mal zur Durchsicht vorgelegt worden wäre.
Der Chronicle of Higher Education befasste sich in der vergangenen Woche mit einer Debatte um eine Potenzierung des „Sokal Hoax” zum „Sokal Squared” durch eine Gruppe von drei Akademikern, die über zehn Monate insgesamt 20 scheinbar wissenschaftliche Aufsätze verfasst und an einschlägige Fachjournale verschickt hatten. Es heißt: „Of the 20, seven papers were accepted, four were published online, and three were in process when the authors ‘had to take the project public prematurely and thus stop the study, before it could be properly concluded’. (…) Beyond the acceptances, the authors said, they also received four requests to peer-review other papers ‘as a result of our own exemplary scholarship’. And one paper – about canine rape culture in dog parks in Portland, Ore. – ‘gained special recognition for excellence from its journal, Gender, Place, and Culture … as one of 12 leading pieces in feminist geography as a part of the journal’s 25th anniversary celebration’.”
Die im Beitrag skizzierte Debatte geht aber freilich nicht um das Maß an Absurdität, das man am Begutachtungsverfahren wissenschaftlicher Journale vorbeimogeln kann, sondern darum, ob der akademische Betrieb insgesamt von derartigen, auf Entlarvung hin zielenden Satiren profitieren könne. Befürworter solcher Satiren meinen, sie verwiesen auf ein Problem innerhalb von Academia und würden zu einer Verminderung dieses Problems beitragen.
Auf der anderen Seite zitiert der Beitrag grundsätzlche Bedenken gegen derartige Satiren, Bedenken, wie die von Jacob Levy, einem Politikwissenschaftler an der kanadischen McGill University: „I am so utterly unimpressed by the fact that an enterprise that relies on a widespread presumption of not-fraud can be fooled some of the time by three people with Ph.D.s who spend 10 months deliberately trying to defraud it.” Wer zehn Monate in ein solches Projekt investiere, so Karen Gregory, eine Soziologin an der University of Edinburgh, habe einzig und allein eines unter Beweis gestellt: „It only proves you are a bad-faith actor.”
Entsprechend energisch sind auch die Forderungen der Satire-Gegner nach „Exko
mmunikation” aus dem akademischen Betrieb, was auf der anderen Seite Satire-Befürworter für übertrieben hielten, denn der akademische Betrieb brauche eben auch die gelegentlichen „Kinder”, die darauf hinwiesen, dass der Kaiser gar keine Kleider trage.
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Ein Beitrag befasst sich im Chronicle of Higher Education mit der fachspezifischen Haltbarkeit von Wissensinhalten und fragt, was Studierende heute lernen sollen, das dann auch noch in 20 Jahren Gültigkeit haben wird. Über Pythagoras und Shakespeare hinaus seien es in erster Linie bestimmte Eigenschaften, die an Hand vo
n Inhalten vermittelt und gelernt werden sollten, Eigenschaften wie „passion for the subject, (…) sense of disciplinary literacy, (…) understanding of how the discipline matters in other realms [and] (…) an eye for the big picture.”
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Inside Higher Education wirft einen Blick auf eine im Journal of Higher Education veröffentlichte Untersuchung zu den Gründen, warum Studierende mit Kindern häufig größere Schwierigkeiten bei der Erreichung des Studienzieles haben als Studierende ohne Kinder. Die wenig überraschende, aber nun auf einer untersuchten Kohortengröße von fast 16.000 Fällen beruhende Einsicht: „The study (…) determined that ‘time poverty’ – the lack of available time that student parents can
spend studying and completing course work – was a primary factor in degree completion. Students with preschool-age children had only about 10 hours per day to dedicate to schoolwork, sleeping, eating and leisure activities, compared to the 21 hours that childless students had.”
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In einer kleinen Reihe von Beiträgen befasst sich der Chronicle of Higher Education mit der Frage, wie man auch in überfüllten Lehrveranstaltungen den Studierenden das für den Studienerfolg so wichtige Gefühl angemessener Betreuung vermitteln könne. Die erfolgreiche Formel beruhe dabei vor allem auf „low-touch intervention”, als
o kleinen Dosierungen von Aufmerksamkeit, wie etwa einer personalisierten und unterstützenden E-Mail, wenn es mal in einem Test nicht so gut gelaufen sei.
Sie finden die Beiträge
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Das Wall Street Journal berichtet, dass sich mittlerweile einige Firmen auf dem deutlich enger gewordenen Arbeitsmarkt durch akademische Weiterbildungsangebote und Übernahme von Studienkosten als attraktive Arbeitgeber profilieren würden. Es heißt: „As companies compete for workers on the thightest labor market in years, they are rolling out new education benefits like college
coaching and student-loan repayments to recruit employees.” Zu den im Beitrag erwähnten Beispielen gehört mit HCA Healthcare ein Unternehmen, dessen vor allem bildungsbezogenen Ausgaben sich auf $300 Mio. beliefen.
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Inside Higher Education meldet die Gründung einer Gewerkschaft für Postdocs und Research Assistants an der Columbia University und schreibt: „[It is] the first for postdocs at any private institution. Columbia, which has denied recognition to a (…) graduate student union on the grounds that graduate students are not employees, despite a Na
tional Labor Relations Board decision saying otherwise (...). The new bargaining unit includes about 2,000 academics.”
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Nachdem das kanadische Parlament der birmanischen Politikerin Aung San Suu Kyi die Ehrenbürgerschaft entzogen hat, werde laut einer Meldung der National Post an der Carleton University derzeit auch die Entziehung ihrer Ehrendoktorwürde diskutiert. Es heißt: „Carleton University’s Senate will consider the matter at a committee meeting this Friday. The three other Canadian schools that have awarded Suu Kyi an honorary law degree – the University of Toronto, Queen’s University
and Memorial University – say they have no such plans.”
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Tel:
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Redaktion:
Peter R. Kerrigan, Stefan Altevogt, Jessica von Tresckow
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